Zurück, zum Glück? Über Retouren...

Was wäre die Welt ohne Retouren?

Heute morgen, an einem ganz normalen Donnerstag, fahre ich zu unserem Getränkemarkt. Der heißt „Fresh & Cool“. Ich habe eine Hermes-Retoure an Bord meines Rads, denn die schicken Stiefel aus dem Internet haben mir leider nicht gepasst. Normalerweise kaufe ich Kleidung nicht per Internet, und Schuhe erst recht nicht. Aber in dem Fall musste es sein, weil es solche Stiefel in unserer Osnabrücker Einkaufswelt einfach nicht gibt. 

Um 10 Uhr morgens, an einem ganz normalen Donnerstag, stapeln sich im „Fresh & Cool“ bereits ca. 20 Retouren-Pakete, äußerlich deutlich erkennbar die üblichen Verdächtigen: Zalando, H&M, Eddie Bauer, Amazon & Co.. Als ich meiner Verwunderung über diese große Menge Retouren an einem ganz normalen Wochentagsmorgen dem gar nicht so frischen und coolen Getränkeverkäufer gegenüber Ausdruck verleihe, kontert er schulterzuckend: „Das ist noch gar nichts. Hier werden täglich zwischen 50 und 80 Pakete abgegeben!“ Um fortzufahren mit: „Unser Spitzenwert ist 230 Retouren-Pakete an einem Tag. Und das war nicht mal nach Weihnachten!“ 

Das neue Kleid, Gemälde von Moritz Stifter von 1899. Quelle: Wikipedia
Das neue Kleid, Gemälde von Moritz Stifter von 1899. Quelle: Wikipedia

Uff, das muss erst einmal sacken. Ich muss dazu sagen, dass ich nicht in einer Stadt, sondern in einem Dorf mit etwa 2.000 Einwohnern lebe, in dem es zudem noch eine zweite Abgabestelle gibt. Und diese beiden Abgabestellen - eben der Getränkemarkt und eine Tankstelle - nehmen nur Hermes-Retouren in Empfang! Es muss also davon ausgegangen werden, dass DHL, DPD, UPS, GLS & Co. in Sachen Retoure ebenfalls täglich ähnlich intensiv in Anspruch genommen werden. 

Die Zeit schreibt: "1.200 Mitarbeiter arbeiten im Retouren-Zentrum von Hermes: in drei Schichten an sechs Tagen die Woche. Schätzungen darüber, wie viele Rücksendungen es in Deutschland pro Jahr insgesamt gibt, variieren. Eine Studie im Auftrag des Bundesverbandes des Versandhandels kommt auf 144 Millionen. Forscher der Universität Bamberg gehen von fast 290 Millionen aus. Klar ist auf jeden Fall,dass der Onlinehandel samt allen Retouren den Paketdienstleistern einen wahren Boom beschert: Inzwischen schicken die Deutschen mehr Pakete an Onlinehändler zurück, als sie privat untereinander versenden." (www.zeit.de)

Quelle: focus.de
Quelle: focus.de

Das, was die Transportunternehmen freut, ist des Einzelhandels größter Feind. Schön bequem zuhause im Internet shoppen, Vergleichsgrößen und -produkte am besten schon mal mit bestellen - kost´ ja nix. Kann ja alles wieder zurück. Ökologischer Fußabdruck, was ist das denn? Kann man den auch zurück schicken? 

 

Der Tagesspiegel: "Schätzungen zufolge geht im Durchschnitt jeder sechste Artikel, der in Deutschland bestellt wird, an den Absender zurück. In einigen Branchen ist die Quote besonders hoch: Beim Kleidungs- Outlet „Dress for less“ beträgt sie nach eigenen Angaben 40 Prozent. Zalando spricht von 50 Prozent." (Gesamter Artikel)

 

In keinem europäischen Land wird soviel

zurückgeschickt wie in Deutschland. (Handelsblatt) 

 

Doch mittlerweile scheinen auch die Retouren-Größen angeschlagen. Die selbst herbeigerufenen Geister erweisen sich zunehmend als extrem belastender Kostenfaktor, zumal nicht wenige Kunden die Retoure-Möglichkeit verstärkt skupellos auszunutzen wissen. Dazu wieder Die Zeit aus oben genanntem Artikel: "Wenn ausgerechnet nach der Fußballweltmeisterschaft funktionierende Fernsehapparate retour gehen oder am Ende der Ferien Zelte wieder beim Händler landen, dann liegt die Vermutung nahe, dass die Besteller ihr Widerrufsrecht sehr eigenwillig auslegen. Und sollten noch Opernkarten in der Hosentasche stecken, ist die Sache ziemlich klar: Diesen Smoking hat sich jemand nur ausgeliehen... Im vergangenen Jahr gaben die Deutschen beim Onlineshopping fast 50 Milliarden Euro aus. Doch der Wettbewerb ist harsch, und die Retouren treiben die Kosten. Außerdem leidet die Umwelt: Mehr Verkehr und Klimagift sind die Folge, wenn Waren gleich mehrmals kreuz und quer durchs Land geschickt werden." DA ist er, der Fußabdruck! Der mit jeder Retoure größer wird.

  

Der Tagesspiegel rechnet vor: "15 Euro kostet eine Rückgabe den Händler im Schnitt. Bei der Firma, die für Otto die Retouren abwickelt, sind das 50 Millionen Rücksendungen im Jahr…" (Gesamter Artikel) Und aus dem Handelsblatt: „Schaut man sich dazu die entstehenden Kosten und einen Wertverlust von häufig mehr als 20 Prozent für retournierte Artikel an, wird schnell klar, dass Rücksendungen zu den größten Rendite-Killern im Online-Handel gehören“, sagt E-Commerce-Experte Alexander Köhler. (Artikel)

 

In Frankreich ist die Retouren-Quote etwa nur

halb so hoch. (Die Zeit)

 

Viel bleibt dem Online-Handel nicht, um das Risiko Retoure einzudämmen. Die Versuche mancher Versender wirken jedoch hanebüchen bis hilflos. Aber was sollen sie auch tun? Der Tagesspiegel: "…Um Rücksendungen vorzubeugen, bemühen sich Anbieter inzwischen, ihre Internetseiten zu optimieren. Im Online-Store von H&M können Kunden Fotos von sich selbst hochladen und das digitale Ich einkleiden. Es mache keinen Sinn, Kleidungsstücke im Internet schöner darzustellen, als sie sind, sagt Radke von Zalando. Auch wer Kundenrezensionen zulasse, helfe, ein möglichst umfassendes Bild zu geben."

Quelle: blog.iloxx.net
Quelle: blog.iloxx.net
Quelle: Pixabay.com
Quelle: Pixabay.com

Und es kommt noch schlimmer! Onlinehaendler-news.de schreibt: "Das Europaparlament hatte am 30. Juni 2013 die EU-Verbraucherrichtlinie beschlossen, nach der die bisher geltende Regelung in Deutschland – Rücksendekosten trägt bei einem Warenwert über 40 Euro der Händler – zulasten des Verbrauchers verändert wird. Dieser hat dann die Retour-Versandkosten selbst zu zahlen. Deutschland muss die EU-Richtlinie bis spätestens Ende 2013 in nationales Recht umgesetzt haben." (Artikel)

Quelle: onlinehaendler-news.de
Quelle: onlinehaendler-news.de

Eine Regelung, die das Kaufverhalten anscheinend zu verändern scheint - zumindest tendenziell. Wie das Schaubild beweist.

Noch boomt der Online-Handel - vor allem dank der großzügigen Rückgaberechte und Bezahlregularien wie dem Kauf auf Rechnung. Auch darin waren wir Deutschen führend und richtungweisend in der Welt. Werner Otto ging bereits 1950 das Risiko ein, nicht nur gegen Vorkasse, sondern auf Rechnung zu liefern. Und im Gegensatz zu anderen Ländern setzte sich diese Zahlungsart bei uns durch.


Die Gewährung möglichst einfacher, umfangreicher Retourmöglichkeiten und Zahlungsweisen wird immer mehr zum eigenständigen Marketing-Argument für Online- und Versandhändler. Manche gewähren alles, andere nur mit Einschränkungen. Wer jedoch erfolgreich mitschwimmen will, ist gezwungen, sich diesem teuren Konstrukt zu unterwerfen - koste es, was es wolle. 

  

Noch hat der Getränkeverkäufer in unserem "Fresh & Cool" also keine Chance, etwas frischer und cooler aus der Wäsche zu schauen - bei den Bergen an Retouren, die er täglich nebenbei abwickeln muss. Aber ich habe das Gefühl, dass die Zeit mit all denen ist, die dem Online-Handel kritischer, selbstbewusster und umweltbewusster gegenüber stehen. Denn Fakt ist: Die Welt wäre ohne Retouren auf jeden Fall in vielerlei Hinsicht ein kleines Stück besser. Und die großen Versender lassen sich mehr und mehr die Butter vom Brot nehmen, durch die - wie oben schon gesagt - Geister, die sie selbst riefen.